HVS-News 2020/3 – Editorial

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Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, das Thema Corona auszublenden und nichts mehr dazu zu sagen. Doch (leider) lässt einen die Realität einfach nicht in Ruhe. So sitze ich maskiert in einem Bus und bekomme mit, wie sich Wanderinnen gegenseitig mit Geschichten von Freundinnen von Freundinnen von Bekannten gegenseitig zu übertrumpfen versuchen. Wer trotz oder gerade wegen einer Maske krank geworden ist; wie unerhört langsam jemand im Zug von Bern nach Zürich an einem Bretzel geknabbert hat, um die Maskenpflicht umgehen zu können; und überhaupt, dass die da oben ja von gar nichts eine Ahnung hätten! Ich bin erstaunt und langsam ein bisschen beängstigt, wie dieses kleine Stück Vlies es schafft, einen Keil in die Gesellschaft zu treiben. Mitleidige Blicke beim Tragen einer Maske werden abgelöst von vorwurfsvollen beim Nicht-Tragen einer ebensolchen. Sitzplätze bleiben leer und Reisende stehen plötzlich lieber im Gang, als sich nur schon in die Nähe einer anderen Person zu wagen. Angst und Misstrauen rundherum, entweder vor dem krankmachenden Virus oder dann vor den dunklen Mächten im Hintergrund, die die Weltherrschaft anstreben und dank des Virus nun endlich die gesamte Menschheit unter ihre Kontrolle bringen können. Schwarz auf der einen und Weiss auf der anderen Seite. Nichts mehr von Graustufen und Schattierungen. Eine einigermassen sachliche Auseinandersetzung ist schon lange nicht mehr möglich. Die Meinungen sind gemacht und jede weiss, dass sie recht hat und die anderen einem totalen Irrglauben aufsitzen und offensichtlich die Gefahren völlig unterschätzen.

Schade eigentlich, und vor allem unnötig, dieser Energieverbrauch. Natürlich bin ich auch nicht mit allem einverstanden und gewisse Dinge verstehe ich ganz und gar nicht. Ich bin allerdings auch nicht involviert in die Entscheidungen da ‘oben’ und muss ehrlich gestehen, dass ich froh bin, diese nicht treffen zu müssen. Und ich vertraue auch darauf, dass einerseits überall Menschen wirken, die nur versuchen, ihr Bestes zu tun und andererseits unser politischer und demokratischer Apparat die ganze Sache aufarbeiten wird. In unzähligen Gremien, langsam wahrscheinlich, aber immerhin. Und dass daraus dann Lehren für die Zukunft gezogen werden.

Ich bin überzeugt, dass die Wahrheit – wie schon so oft in der Vergangenheit – irgendwo in der Mitte liegt. Und statt den Fokus unerbittlich auf den einen oder anderen Pol zu legen, scheint es mir effektiver und ressourcenschonender, eine gute Lösung in der Mitte zu finden. Wie heisst es doch so schön: Einem guten Kompromiss stimmen alle Seiten zähneknirschend zu.

Rémy Schnell