HVS-News 2020/3 – Interview mit Ewald Stöteler

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Ewald Stöteler

G.F. Wie kamen Sie zur Homöopathie?
E.S. Als ich 19 Jahre alt war, erkrankte mein Vater an Krebs. Ich war zu der Zeit in meiner Ausbildung zum Krankenpfleger, arbeitete auf der Abteilung Onkologie und sah viele Patienten sterben, die ich nach drei Monate Chemotherapie gar nicht mehr erkannte. Der Tod meines Vaters brachte mich auf die Suche nach anderen Therapiemöglichkeiten, und so kam ich zur Homöopathie. 1977 (6 Monate später) begann ich meine Homöopathische Ausbildung. Die Philosophie des Ähnlichkeitsprinzips der Homöopathie hat mich von Anfang an überzeugt.

G.F. Aus welcher Homöopathie-Schule kamen Ihre Lehrer?
E.S Meine ersten Lehrer waren niederländische Homöopathen, die international nicht so bekannt sind, wie Drs. Hans van Vliet und JP de Kok. Der später sehr bekannt gewordene Materia Medica-Autor Frans Vermeulen war in meiner Arbeitsgruppe. Nach meiner zweijährigen Basisausbildung schloss ich eine zweijährige Dozentenausbildung bei Henny Heudens an. Ich besuchte Fortbildungen bei G. Vithoulkas, R. Sankaran, V. Ghegas usw.- Meine Ausbildung basierte auf der Philosophie von James Tyler Kent. (4. Edition Organon)

G.F. Sie haben sich sehr intensiv mit Hahnemann, dem Organon und den chronischen Krankheiten auseinandergesetzt, was war Ihre Motivation?
E.S. Immer dann, wenn ich in meiner Praxis auf Probleme in der Behandlung mit Patienten stiess, habe ich mich an Hahnemann gewandt und die Lösung im Organon und den chronischen Krankheiten gesucht. Wie Hahnemann selbst schreibt, sind „Die chronischen Krankheiten“ die Anleitung, wie der Homöopath in der Praxis vorgehen soll. Leider haben nur wenige Homöopathen dieses Buch gelesen, und auf meine Nachfrage hat fast niemand „Die chronischen Krankheiten“ intensiv studiert. Ein Schatz an Information droht dadurch seinen Weg in die Praxis nicht zu finden oder gar ganz verloren zu gehen. Wenn man nämlich dieses Werk gründlich studiert, ändert sich die tägliche Praxis total, die Erfolge werden viel grösser und die Patienten stehen Schlange vor der Praxis.
Eine totaler Paradigmenwechsel findet statt, von der Behandlung der Kranken zur Behandlung der chronischen Krankheiten!

G.F. Was machen Sie heute anders als Ihre Lehrer?
E.S. Wir Homöopathen sind ja, nach Kent, immer auf der Suche nach dem richtigen Mittel.
Das ist aber absolut nicht nach Hahnemann, der unterschiedliche Krankheiten mit unterschiedlichen Heilmittelgruppen behandelte. So sind pflanzliche Mittel keine Konstitutionsmittel, keine antipsorischen Mittel, sondern nur als Akutmittel einzustufen. Eine Pulsatilla-Konstitution gibt es daher nicht. Die mineralischen Mittel sind die Antipsorischen oder Konstitutionsmittel. Deshalb hat Hahnemann zwei Materia Medicas geschrieben: Die Reine Arzneimittellehre und Die Chronischen Krankheiten. Die abwechselnde Verordnung zwischen diesen Heilmittelgruppen auf Grund der Ätiologie der Symptomatik war Hahnemanns tägliche Praxis, die Anwendung von antipsorischen Zwischenmitteln ebenso. Die Position der Nosoden passt in diese Klassifikation der Krankheiten und ihrer Behandlung. Wir können den Patienten nicht dauerhaft von pathologischen Vererbungen heilen, wenn wir keine Nosoden anwenden. Die meisten Patienten heutzutage brauchen ein Zwischenmittel für die iatrogene Belastung, eine Nosode auf Grund der Vererbung und ein Akutmittel für die aktuelle Krankheit. Nach einer intensiven Anamnese nütze ich daher, auf Grund der Symptomatologie, das Komplementäre zwischen unterschiedlichen Mitteln, wodurch das Heilvermögen riesig gesteigert wird.

G.F. Uns Homöopathen wurde fast eingeprügelt, nur ein Mittel zu geben, Sie geben aber drei gleichzeitig, warum?
E.S. Wie gesagt, es gibt eben unterschiedliche Krankheitstendenzen in einem Patienten. Diese Tendenzen können einander blockieren, wenn wir sie unbehandelt lassen. Wenn wir auf diese unterschiedlichen Krankheitstendenzen Mittel aus verschiedenen Gruppen anwenden, dann unterstützen sich diese in ihrer Heilkraft. Also nicht zwei mineralische oder zwei pflanzliche Mittel, sondern eine Nosode, ein Mineral und für akute, auflodernde Krankheit eine Pflanze. Die kann man dann nach Indikation im Wechsel verordnen, wie Hahnemann das auch gemacht hat, Die Homöopathie wird so um vieles effektiver. Die Information, wie wir das machen sollen, ist schon seit 200 Jahren da, wir müssen sie nur intensiv studieren und dann lernen, so zu arbeiten!
Die Effektivität hat sich in den letzten 40 Jahren immer wieder bestätigt. Die Teilnehmer der vielen Seminare, die ich gehalten habe, bestätigen mir das immer wieder. In den Niederlanden arbeiten ungefähr die Hälfte der Homöopathen nach den Richtlinien von Hahnemanns Krankheitsklassifikation.

G.F. Auch geben Sie Ihre Mittel zum Riechen, macht das Sinn und wie ist die Complience der Patientinnen?
E.S. Hahnemann, wie er in seinem Buch „Kleine Medizinische Schriften“ selber schreibt, hat in den letzten 10-12 Jahren seiner Praxis fast ausschließlich Riechdosen angewandt. Auf Ratschlag seiner Schüler hat er dies nur ab und zu im Organon und den chronischen Krankheiten erwähnt. Es steht aber klar und deutlich da. Er schreibt, es sei die schnellste und effektivste Weise, homöopathische Mittel zu verordnen, und wirke ebenso dauerhaft, als wären es als Tropfen oder Globuli – möglicherweise sogar noch kräftiger. Über den Geruchsnerv wird die Information des Heilmittels am schnellsten aufgenommen; dies ist auch meine Erfahrung über die letzten 30 Jahre. Viele Kollegen in den Niederlanden und Deutschland machen das heutzutage ebenso und mit viel Erfolg. Weil es so gut wirkt, haben auch die Patienten natürlich nichts dagegen, auf diese Weise die Mittel einzunehmen,

G.F. Wie schätzen Sie Ihre Erfolge ein?
E.S. Die Erfolge sind mit der Behandlung nach der Krankheitsklassifikation von Hahnemann viel besser georden. Das wird auch von vielen Kollegen national und international bestätigt.
In meiner Praxis habe ich viele Patienten mit schwersten Pathologien, Krebs usw. Auch da sind sehr oft gute Resultate zu erreichen.

G.F. Sie unterrichten auch in Japan, wie ist da die Akzeptanz der Homöopathie?
E.S. In Japan ist die Homöopathie noch sehr jung. Es gibt, schätze ich, mittlerweile ungefähr 2000 Homöopathen in Japan. Jährlich gebe ich eine Woche Seminare in Japan, und das schon über 10 Jahre. Die Akzeptanz durch die Bevölkerung steigt.

G.F. Sie sind ein angesehener Homöopath und Lehrer in Holland – arbeiten viele Homöopathen in Ihrem Land nach dieser Arbeitsweise? Wie sind die Erfolge?
E.S. Nach einer Kentianischen Ausbildung in der Homöopathie muss man bestimmt lernen umzudenken, wenn man zur Hahnemannischen Krankheitsklassifiation übergeht. Wir kommen dann weg vom Einzelmittel und lernen, auf unterschiedliche Krankheitstendenzen, die mit 100% Sicherheit in den Symptomen nachweisbar sind, zu verschreiben. Wir lernen, Zwischenmittel anzuwenden, die Nosoden, Akutmittel, Konstitutionsmittel und die Unterschiede in diesen Heilmittelgruppen. Wenn wir das gut im Griff haben, wird die Homöopathie eine viel kraftvollere Heilmethode, als wenn man nur ein Mittel anwendet. Und dies geht alles zurück auf Hahnemann. Als Homöopath weiss ich viel besser, was ich mache und wo ich mich befinde in der Behandlung. Die Erfolge werden darum viel grösser. Die Patienten sind zufriedener und die Praxis wächst. So hat es sich über die Jahre bei vielen Kollegen entwickelt.

G.F. Was wünschen Sie sich für die europäische Homöopathie?
E.S. Überhaupt wünsche ich mir, dass sich die Homöopathie zum Wohle der Patienten entwickelt. Wir müssen alte Dogmen loslassen und uns auf die Heilung auf allen Ebenen und auf Grund der Naturgesetze konzentrieren. Persönliche Interessen dürfen hier nicht im Wege stehen. Wenn wir Homöopathen das machen können, dann wünsche ich mir für die Homöopathie, dass sie ihre gerechtfertigte Position in der Welt erhält, und das würde nach meiner Meinung eine segensreiche Zukunft bedeuten.

G.F. Ich danke Ihnen für das interessante Gespräch.

Das Interview führte Gabriela Fischer, Homöopathin in Glarus