Das Ähnlichkeitsprinzip (Wiegand, van Wijk – 2009)
Die Essenz der Homöopathie besteht darin, einen Selbstheilungsprozess anzustossen, indem man ein Mittel gemäss dem Ähnlichkeitsprinzip verabreicht. Das Ziel der Autoren bestand darin, ein Forschungsprogramm zu entwickeln mit dem Fokus auf den Abwehr- und Heilungsprozess auf der zellulären Ebene, entsprechend dem Ähnlichkeitsprinzip. Das Programm selber wurde bereits vor zwei Jahrzehnten ins Leben gerufen und verschiedene Resultate sind bereits in einigen Publikationen veröffentlicht worden (1).
Kriterien für experimentelle Studien des Ähnlichskeitsprinzips
Der Ausgangspunkt für alle Forschungsprogramme, die sich auf das Ähnlichkeitsprinzip stützen, sollte im Einklang mit der praktischen homöopathischen Klinik sein. Dafür sind folgende Kriterien wichtig
- Organismen müssen eine Funktionsstörung aufweisen
- Im Falle einer leichten Funktionsstörung muss nach der Gabe des Similiums eine Gesundung bzw. Erholung feststellbar sein. Wenn die Homöostase durch Stress gestört ist, aktiviert der Organismus den eigenen Prozess der Genesung. Eine solche Antwort auf Stress ist zu interpretieren als eine zielgerichtete homöostatische Reaktion. Heilungsprozesse zeigen meist eine grosse Vielfalt bezüglich Effektivität und Zeitraum. Organismen, die keine optimale Wiederherstellung von Gesundheit zeigen, sind für Forschungszwecke optimal. So kann der Einfluss eines abgegebenen Mittels besonders gut untersucht werden.
- Der Organismus muss charakteristische Symptome einer Krankheit zeigen. Krankheit ist die Beeinträchtigung des Organismus, sich selber zu heilen.
- Es muss eine Übereinstimmung bestehen zwischen den Krankheitssymptomen und dem Mittelbild.
- Der Effekt nach der Mittelgabe unterliegt festgelegten Parametern, und zwar nicht nur das Feststellen von veränderten Regulationsabläufen und körpereigener Wiederherstellung, sondern auch die Analyse von molekularen und funktionalen Parametern.
Im Artikel gehen die Autoren ausführlich auf die fünf obenerwähnten Punkte ein, die ihr Forschungsprogramm abdeckt. Dazu sei hier nur ein Punkt herausgegriffen, der vielleicht gerade aus der Perspektive der praktizierenden Homöopathen interessant sein könnte (die detaillierten Ausführungen können gerne in der Originalarbeit nachgelesen werden). Wenn die Balance der Homöostase gestört ist, erhöht sich generell die Empfindlichkeit. Die Autoren betonen, dass dieser Tatsache grossen Wert beigemessen werde sollte. Bereits Hahnemann bemerkte, dass kranke Menschen empfindlicher reagieren als gesunde und dass die Gabe des Arzneimittels die Symptome verstärken kann. Auch Robert Koch beobachtete eine grössere Empfindlichkeit: injiziertes Tuberkulinum kann in grösseren Mengen gesunden Tieren gespritzt werden ohne dass irgendwelche Symptome auftauchen wohingegen bei an Tuberkulose erkrankten Tieren bereits kleine Mengen genügen, dass sie heftig reagierten oder gar starben. Überempfindlichkeit war also bereits lange mit infektiösen Krankheiten in Verbindung gebracht worden. Später interpretierte man diese Überempfindlichkeit dahingehend, dass es sich um die Reaktion des Körpers gegenüber externen Noxen handle (nicht nur gegenüber giftigen oder infektiösen Substanzen). Diese Sensibilisierung wurde in allen in vitro und in vivo Studien beobachtet. Der gesteigerten Empfindlichkeit folgt eine „reduzierte“ Empfindlichkeit, auch Toleranz genannt. Es ist ein Charakteristikum der von den Autoren durchgeführten Studien, dass die gesteigerte Empfindlichkeit den Zustand der Störung vom lebenden Organismus reflektiert.
Die Autoren unterschieden ihre Forschungsarbeit in homologe und heterologe Experimente. Die homologen Arbeiten (Isopathie) ist eigentlich die elementarste Version des Ähnlichkeitsprinzips. Bei den heterologen Experimenten wurden verschiedene Substanzen verwendet. In den Forschungsexperimenten wurden keine Mittel jenseits der Avogadro’schen Zahl verwendet.
Resultate der homologen Studien (isopathischer Ansatz)
Beschrieben sind im Artikel Studien von Schamhart (2) et al. und Delpino et al. (3) Beide haben bei ihren Experimenten Zellen erst hohen Temperaturen und anschliessend tieferen ausgesetzt. Die Autoren führten ihre Studien mit toxischen Substanzen (Arsen und Cadmium) durch. Das Phänomen der erhöhten Sensitivität und Verstärkung der Symptomatik wurde bei allen Studien beobachtet. Zusammenfassend halten die Autoren fest, dass diese Reihe der Experimente klar den bipolaren Reiz einer Substanz zeigt: eine kleine Dosis kann einen Stimulus setzen, dass die Zellen, nachdem sie durch eine hohe Dosis einer Substanz (oder Temperatur) geschädigt wurden, sich wieder erholen bzw. dadurch ihre Überlebenskapazität steigern.
In Anbetracht des molekularen Hintergrundes stand die Frage im Raum, warum kranke Zellen auf Noxen in niedrigen Potenzen reagieren, gesunde Zellen hingegen nicht und wie dieser stimulierende Effekt der Überlebensmechanismus der Zellen erklärt werden kann. Eine Erklärung ist, dass niedrige Dosen den Trigger für die hsp (a) Synthese verstärken. Ein erhöhter Spiegel von hsps ist ein Vorteil und kann zu einem nachhaltigen und fortsetzenden Gesundungsprozess auf zellulärer Ebene führen.
Resultate der heterologen Studien
Nicht alle Veränderungen, die nach der Exposition von „Stress“ festgestellt werden können, sind hilfreich, um beurteilen zu können, ob dies aufgrund des Stress‘ ist oder physiologisch bedingt. Eine Veränderung in der Zellmorphologie ist z.B. viel zu allgemein (analog dem Symptom Kopfschmerz in der Homöopathie). So traf man eine Auswahl von Stressproteinen (hsp) und glukose-regulativen Proteinen (grps), um die Veränderungen nach der Stressexposition messen zu können. Um nicht mit zu vielen Variablen zu arbeiten, beschloss man, nur eine Stresssituation zu nehmen (HS, dh. Heat Shock) und alle anderen damit zu vergleichen. Das Resultat war, dass verschiedene Stressbedingungen zu charakteristischen molekularen Symptomen führten. Die stressspezifischen Muster der induzierten hsp können auf zellulärer Ebene als „Mittelbilder“ verstanden werden. Die Autoren beschreiben detailliert die Modulation der Überlebenskapazität der Zellen nach Erleben eines Hitzeschocks.
Für die Autoren stand folgende Frage im Raum: Wie steht die Stimulation der Überlebenskapazität zum Grad der Ähnlichkeit zwischen den Symptomen von hitze-geschockten Zellen und Mittelbild in Beziehung? Sie kamen zu folgendem Schluss: je höher die Ähnlichkeit, desto grösser die Stimulation zur Zellheilung.
Es galt weiter zu klären, ob eine zusätzliche Stressprotein-Synthese entweder durch die erste Noxe (Hitzeschock) oder durch die zweite, niedrige Stressbedingung induziert wird. Anhand der durchgeführten Experimente kamen die Autoren zu folgendem Schluss: während der Periode der erhöhten Sensitivität reagieren Zellen auf niedrig dosierte Stressoren, auf die sie in einem gesunden Zustand nicht reagieren würden. Die Stimulation des Heilungsprozesses hängt von der Ähnlichkeit zwischen dem „hochdosierten Stress“ und dem „niedrigdosierten“ Stress ab. Mit anderen Worten kann ein grippaler Infekt der hochdosierte Stress ein und das an die Ähnlichkeitsregel angelehnte homöopathische Mittel ist der niedrigdosierte Stress. Je ähnlicher das homöopathische Mittel den Symptomen ist, desto besser, schneller und nachhaltiger ist die Genesung.
Schlussfolgerung
In Anbetracht der zytoprotektiven Rolle der hsps kann davon ausgegangen werden, dass ein niedrig-dosierter Stress (=homöopathisches Mittel) dem vorausgegangenen hochdosiertem Stress (z.B. ein Infekt durch einen Erreger) eine erhöhte hsp-Synthese auslöst und die zelluläre Gesundung verstärkt.
In der Hormesis (b) wird der Effekt von niedrigen Dosen in natürlichen Zellen untersucht. Calabrese et al. (4) hat in seiner Arbeit den Begriff der „Postconditioning“ Hormesis eingeführt. Er will damit darauf hinweisen, dass auch ein kleiner Stimulus einen positiven Effekt auf Zellen und Organismen hat, auch wenn zuvor ein schwerer Stressfaktor vorausgegangen ist. Die Autoren betrachten ihre Forschungsergebnisse als wunderbares Beispiel für diese „Postconditioning“ Hormesis. In diesem Zusammenhang weisen sie darauf hin, dass die von ihnen verwendeten chemischen Stressoren/Mittel unter der Avogadro’schen Zahl liegen und nicht potenziert waren, ähnlich den homöopathischen Mitteln, welche man in den Anfängen der Homöopathie verabreichte.
Die Autoren erwähnen am Schluss ihrer Publikation die Tatsache, dass sie andere experimentelle und klinische Beispiele überprüften, welche der Definition der „Postconditioning“ Hormesis entsprechen. (5) Diese Ergebnisse wären vor allem auch für die Homöopathie interessant. Der Fokus dieser Ergebnisse heben sowohl die regulatorischen Prinzipien hervor als auch die Tatsache, dass niedrig-dosierte Stressoren eine günstige und nutzbringende Wirkung haben und den Heilungsprozess unterstützen.
Original
The similia principle: results obtained in a cellular model system, Fred Wiegant and Roeland Van Wijk, Homeopathy (2010), 99, 3-14, doi: 10.1016/j.homp.2009.10.002
Literatur
- Van Wijk R, Wiegant FAC. The similia principle as a therapeutic strategy: a research program on stimulation of self-defense in disordered mammalian cells. Altern Ther Health Med 1997 ; 3 :33-38Van Wijk R, Wiegant FAC. The similia principle. An experimental approach on the cornerstone of homeopathy. Essen: Karl und Veronica Carstens-Stiftung, 2006Wiegant FAC, Souren JEM, Van Wijk R. Stimulation of survival capacity in heat-shocked cells by subsequent exposure to minute amounts of chemical stressors: role of similarity in hsp-inducing effects. Hum Exp Toxicol 1999 ; 18 : 460-470
- Schamhart DHJ, Zoutewelle G, Van Aken H, Van Wijk R. Effects on the expression of heat shock proteins by step-down heating and hypothermia in rat hepatoma cells with a different degree of heat sensitivity. Int J Hypothermia 1992 ; 8 :701-716
- Delpino A, Gantile FP, Di Modugno F, Benassi M, Mileo AM, Mattei E. Thermo-sensitization, heat shock protein synthesis and development of thermotolerance in M-14 human tumor cells subjected to step-down heating. Radiat Environ Biophys 1992 ; 31 : 323-332
- Calabrese EJ, Bachmann KA, Bailer AJ, et al. Biological stress response terminology: integrating the concepts of adaptive response and reconditioning stress within a hormetic dose-response framework. Toxicol Appl Pharmacol 2007 ; 222 :122-128
- Prins HAB, Van Wijk R, Wiegant FAC. Postconditioning hormesis put in perspective; history and overview (Submitted), 2009
Erklärungen
- Hsp sind spezifische Stressproteine. Bei unterschiedlichsten Belastungen bilden Zellen spezielle Eiweißstoffe, die einer Schädigung entgegenwirken. Als erstes wurden die sogenannten Hitzeschock-Proteine entdeckt; deren Wirkungsbereich umfasst aber wesentlich mehr Funktionen als nur Schutz in Stress-Situationen.
- Hormesis ist die schon von Paracelsus formulierte Hypothese, dass geringe Dosen schädlicher oder giftiger Substanzen eine positive Wirkung auf Organismen haben können. Sie wird heute in der Definition weiter gefasst. Bei medizinisch wirksamen Substanzen ist ein solcher dosisabhängiger Umkehreffekt gut nachweisbar (z. B. Digitalis, Colchicin oder Opium).