von Katharina Gaertner (1), Michael Teut (2) und Harald Walach (3)
ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung) ist weit verbreitet; bei 5% der Kinder wird es diagnostiziert. Die vorherrschende Behandlungsmethode bei ADHS ist Methylphenidat (MPH) (z.B. Ritalin). Schlechte Compliance mit sympathomimetischen (4) Arzneimitteln (wie MPH), könnte einer der Gründe sein, wieso viele Eltern Alternativen und zusätzliche Optionen in der Behandlung von ADHS suchen. Multidisziplinäre Behandlungen sind gefordert. Dabei erscheint Homöopathie als eine mögliche Option.
Obwohl in früheren Studien keine konsistenten Effekte einer Homöopathiebehandlung bei ADHS nachgewiesen werden konnten (5), hat es seither neuere Studien gegeben, und darum erscheint es lohnenswert, in einer Metaanalyse herauszufinden, wie der aktuelle Stand der Forschung aussieht.
Methode
Für diese Metaanalyse wurden Studien betrachtet, die erstens nach 1980 erschienen sind, die zweitens eine individuelle homöopathische Behandlung bei ADHS bei Kindern erforscht haben und drittens diese Behandlung mit einer Kontrollgruppe einer anderen Behandlung (Placebo, Standardbehandlung) in einer randomisierten (6) oder nicht-randomisierten Beobachtungsstudie mit einem oder zwei Armen (7) verglichen. Folgende Ausschlusskriterien wurden dabei angewendet: nicht individualisierte homöopathische Behandlung und gröbere methodische Fehler.
Resultate
Von zehn potenziellen Studien wurden vier wegen obiger Kriterien ausgeschlossen. Es blieben sechs Studien: vier doppelblinde (8), placebokontrollierte (9), zwei aktiv kontrollierte (10) open-label (11) Studien, von welchen eine nicht randomisiert war.
Die Metaanalyse zeigte signifikante Effektgrössen gegenüber den Kontrollgruppen über alle Studien mit einem Hedges’ g (12) von 0.542 (95% CI (13) 0.311-0.722; z=3.0; p=0.003).
Diskussion
Meta-Regression (14) identifiziert die Studiendauer als eine signifikante Wirkungsvariable. Wenn man die Studie mit der längsten Dauer ausschliesst, dann reduziert sich der Effekt auf g=0.355 (was aber statistisch immer noch relevant ist). Weil aber nur eine Studie mit längerer Dauer betrachtet worden ist, könnte dieser Effekt auf andere Parameter dieser Studie zurückzuführen sein.
Obwohl der Wirkungsmechanismus homöopathischer Arzneimittel noch unbekannt ist, könnte es sich lohnen, die Homöopathie als eine zusätzliche Option im therapeutischen Ansatz bei ADHS einzusetzen. Die Daten dieser Studie zeigen eine Effektstärke von 0.6 Standradabweichungen und sind somit klinisch relevant und in dieser Analyse auch statistisch relevant.
Als Einschränkung dieser Studie muss angemerkt werden, dass die Stichprobengrösse der einzelnen Studien im Allgemeinen relativ klein war (30-80 Teilnehmende), die Mehrheit der Studien von relativ kurzer Beobachtungsdauer waren und nur vier placebokontrollierte und zwei aktiv kontrollierte Studien untersucht worden sind. Daraus folgt eine limitierte Generalisierbarkeit, und die Resultate können noch nicht als endgültiger empirischer Beweis verstanden werden. Sie sind vielversprechend, aber mehr Forschung dazu wäre nötig.
Standardbehandlungsleitlinien für die Behandlung von ADHS empfehlen die Kombination von Verhaltenstherapie und MPH und den Einsatz von multidisziplinären Behandlungsplänen, da die Compliance mit MPH allein immer noch schlecht ist und die Nebenwirkungen beträchtlich sind. Alternative Behandlungsmöglichkeiten werden den Eltern zu wenig mitgeteilt, obwohl deren Einsatz erheblich zunimmt. Wir empfehlen daher den Ärzten, eine homöopathische Behandlung als Ergänzung zu ihrem Behandlungsplan für Kinder mit ADHS in Betracht zu ziehen, zum Beispiel durch Überweisung an kompetente Fachpersonen.
Zusammenfassend kommen die Autoren der Studie zum Schluss, dass Homöopathie in dieser Metaanalyse effektiver war als Placebo und andere Methoden, um ADHS bei Kindern zu verbessern.
Für die Forschungsgruppe
Pia Portmann
Referenzen
- Witten/Herdecke Universität, Institut für Integrative Medizin, Herdecke, Deutschland.
- Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitswirtschaft, Charité Universitätsmedizin Berlin, Mitglied der Freien Universität Berlin und Humboldt Universität zu Berlin, Berlin, Deutschland.
- Change Health Science Institute, Berlin, Deutschland. ✉email: michael.teut@charite.de
- Sympathomimetisch: die Wirkung des Sympathikus nachahmend, resp. verstärkend
- Heirs, M. & Dean, M. E. Homeopathy for attention deficit/hyperactivity disorder or hyperkinetic disorder. Cochrane Database Syst. Rev. CD005648 (2007).
- Randomisiert bedeutet, dass beide Gruppen möglichst gleich zusammengestellt sind. Die Gruppen sollten also hinsichtlich z.B. Krankheitsbeschwerden, Alter, Geschlecht usw. möglichst vergleichbar / identisch sein.
- einarmig = nur das Präparat; zweiarmig = Präparat und ein ähnliches Medikament ODER Präparat und ein Placebo im Vergleich.
- Doppelblind: Bei einer Doppelblindstudie wird die Zuteilung zur Kontroll- oder Versuchsgruppe vor den Teilnehmenden und den Versuchsleitenden geheim gehalten.
- Placebokontrolliert: Eine placebokontrollierte Studie ist eine Untersuchung, bei der der eine Teil der Patienten ein Scheinmedikament (Placebo) erhält, die andere Patientengruppe die zu prüfende Substanz (Verum).
- Aktiv kontrolliert: “Active control” bedeutet, dass eine bekannte, wirksame Methode mit einer experimentellen Methode verglichen wird, anstatt mit Placebo.
- Open label: eine klinische Studie wird als «offene Studie» bezeichnet, wenn die Studienteilnehmenden, die Therapierenden und die involvierten Mitarbeitenden Bescheid wissen, welche Therapie die Studienteilnehmenden erhalten.
- Hedge’s g ist eine statistische Messgrösse für Effektstärke, eine Variante von Cohen’s d.
- CI= Confidence Interval ist ein Konfidenzintervall, kurz KI, ein statistisches Intervall, das die Präzision der Lageschätzung eines Parameters angeben soll.
- Meta-Regression ist ein objetiver und statistisch strenger Ansatz für systematische Überprüfungen, welcher oft in Metaanalysen angewendet wird.
Pediatric Research; https://doi.org/10.1038/s41390-022-02127-3
Eingereicht: 14. September 2021 Revidiert: 12. Mai 2022 Angenommen: 17. Mai 2022, online publiziert: 14. Juni 202
Originaltitel: Is homeopathy effective for attention deficit and hyperactivity disorder? A meta-analysis
Ganzer Text abrufbar unter: https://www.nature.com/articles/s41390-022-02127-3