HVS-News 2020/2 – Drosselspott

HVS-News Archiv

Eine Corona-Recherche von mimus polyglottos

Im Verhörraum befragt Kommissar Luigi Coroni den Tatverdächtigen Danilo Käch im Beisein von dessen Rechtsanwalt Ambrosius Drossel. Danilo Käch wurde beobachtet, als er überstürzt die Praxis des unter mysteriösen Umständen verstorbenen Homöopathen Nathaniel Gräm-Sich verliess. Sie sitzen gemeinsam an einem Tisch, keiner der Beteiligten trägt eine Schutzmaske. Kommissar Luigi Coroni führt Danilo Käch einen brisanten Gesprächsmitschnitt vor:

«ch hb lcht vrstmmgn wl svl arbtn ms st vr mntn»
«Ih vrsth gnz schlcht knntn ds nchml wdrhln?»
«wslchdn dtlchr rdnntr dsm vflxtn stflpn….»
(…)
«gpfdschtz dmminml ch rstck grd nchstns!»*

Luigi Coroni: Herr Käch, Sie werden wohl kaum bestreiten, dass das Ihre Stimme ist, die wir hier hören, auch wenn man Sie nur ganz schlecht und gebrochen versteht. Die andere Stimme dürfte jene des Verstorbenen Nathaniel Gräm-Sich – Gott sei ihm gnädig – sein. Wir haben diese Aufnahme in der Praxis des Verstorbenen gefunden, sie ist offenbar entstanden, kurz bevor Sie die Praxis fluchtartig verliessen. Möchten Sie sich dazu äussern?

Danilo Käch: Ich war heute Morgen zu einem Erstgespräch bei Herrn Gräm-Sich eingeladen. Er hat mich gefragt, ob ich einverstanden sei, das Gespräch aufzunehmen, das könne ihm bei der Auswertung helfen. Da habe ich zugestimmt.

LC: Wogegen wollten Sie sich behandeln lassen?

Anwalt Ambrosius Drossel: Darauf musst du nicht antworten, Danilo, das ist Privatsache.

DK: Neinnein, kein Problem. Ich bin seit vier Monaten pausenlos wegen diesen Viren im Einsatz und sehe kaum mehr meine geliebten Hunde. Das hat mich etwas depressiv gestimmt und da hat mir mein Freund Steda Badler erzählt, Homöopathie sei in solchen Fällen eine ganz gute Sache, obwohl er sonst ja nicht soviel davon hält. Aber bei leichten Verstimmungen soll sich Placebo bewährt haben, so hat er mir berichtet.

LC: Sie hätten natürlich auch einfach Ihre bevorstehende Pensionierung abwarten können…

AD: … Lieber Kommissar, das steht hier nicht zur Diskussion und geht Sie gar nichts an …

LC: … ok … können Sie mir aber bitte erklären, warum man auf diesem Gesprächsmitschnitt praktisch nichts versteht? Für mich ist das eindeutig, Sie halten dem Verstorbenen den Mund zu, sodass er nicht richtig sprechen kann und schliesslich erstickt.

AD: Wenn das so wäre, wie Sie es unterstellen, dann müsste man wenigstens die Stimme meines Mandanten gut und ungebrochen verstehen, was aber hörbar nicht der Fall ist ….

DK: …. schon gut Ambrosius. Herr Gräm-Sich hat mir gleich beim Eintreten erklärt, ich müsse eine Schutzmaske tragen, wie er es auch tue. Ich hatte mich natürlich etwas gewundert, denn seit zwei Monaten predige ich landauf landab, dass Masken wenig nützen, wenn man sich im Abstand von drei Metern voneinander hinsetzt, wie es Nathaniel Gräm-Sich gewünscht hat. Zudem hat er den breiten Tisch zwischen uns alle zehn Minuten mit Brennsprit abgewischt. Möglicherweise wollte er Viren fangen. Ich habe ihn gefragt, warum er all das tue, er meinte, das sei Vorschrift seines Dachverbands. Offenbar sind einzelne Verbände päpstlicher als der Papst oder das BAG, was nicht immer gut herauskommt, wie man hier traurigerweise sieht. In meiner langjährigen Tätigkeit hat mir gesunder Menschenverstand jedenfalls immer besser gedient als rigoroser Kadavergehorsam.

LC: Ist Ihnen sonst noch etwas aufgefallen?

DK: An der Tür hing ein Schild «Kinder werden nicht behandelt». Ich habe ihn nach dem Grund gefragt. Gräm-Sich meinte, er verfolge täglich die Sendungen von Chrigel Drostig, und der habe gesagt, Kinder dürfen sich nicht auf Spielplätzen treffen, weil sie sich dort gegenseitig anstecken und zu Virenschleudern werden. Und weil er viele Spielsachen in seinem Wartezimmer habe, folgerte Gräm-Sich, dass dieses sicher auch als Spielplatz gelte und sich deshalb keine Kinder begegnen dürften. Dabei sind wir hier doch in der Schweiz und nicht in Deutschland und sehen das ein bisschen pragmatischer und lebensnäher.

LC: Was geschah dann weiter?

DK: Haben Sie schon einmal zwei Stunden am Stück unter einer Maske sprechen müssen? So tönt das dann halt. Erstickend, Laute verschluckend. Manche kollabieren ja schon nach zehn Minuten beim Coiffeur. Nun gut, ich bin es berufshalber gewohnt, wobei wir an unseren Pressekonferenzen ja auch alle keine Maske tragen, sonst würden Sie uns in den TV-Live-Übertragungen zuhause auf dem Sofa gar nicht verstehen, aber für Homöopath Gräm-Sich war das eine ziemlich neue Erfahrung und er hat die Maske offenbar zu eng um Mund/Nase gezogen. Er begann schon während dem Gespräch schwer zu atmen und zu husten, aber auf meine besorgte Nachfrage wiegelte er ab, es sei alles in Ordnung, das sei nur sein leichtes Asthma.

LC: Haben Sie eine Idee, warum Homöopathen unbedingt Schutzmasken tragen wollen?

DK: Ich glaube, das liegt daran, dass Steda Badler nichts von Masken hält. Weil er aber, wie schon erwähnt, kein grosser Freund der Homöopathie ist, dachten die Homöopathen wohl, Schutzmasken müssen auf jeden Fall sehr hilfreich sein, wenn Badler darüber lacht. Dabei ist mein Freund Steda auch sonst sehr vernünftig: Spaziergänge an der frischen Luft statt Quarantäne, Kinder sollen sich zusammen auf dem Spielplatz tummeln, die Alten sollen auch raus, für sie seien eigene Einkaufszeiten einzurichten, während denen die Jungen und Mittelaltrigen in den Läden nichts zu suchen haben. Alles ganz hilfreiche Vorschläge in Zeiten der kollektiven Hysterie.

LC: Warum aber haben sie ihm denn nicht geholfen, eingegriffen oder Alarm geschlagen, als Gräm-Sich zu ersticken drohte?

DK: Ich musste dringend auf die Toilette. Dort fand ich ein riesiges Lager an Brennsprit aufgestapelt vor. Das machte mich stutzig. Ich begann zu zählen. Über 100 Literflaschen an Brennsprit. Da wusste ich, warum selbst ich in den Läden keinen mehr fand. Und als ich fertig mit der Zählerei war und zurück ins Behandlungszimmer ging, da lag Nathaniel Gräm-Sich schon tot auf dem Boden. Das muss ganz plötzlich gegangen sein.

LC: Aber warum sind Sie dann so eilig aus der Praxis gerannt? Sie mussten doch wissen, dass Sie das zu einem Verdächtigen macht?

DK: Er war schon tot. Unter einer unnötigen Maske erstickt. Da war leider nichts mehr zu machen. Ich musste dringend zum nächsten Termin. Pressekonferenz mit dem Bundesrat. Wir sollten weitere Lockerungsmassnahmen bekanntgeben.

AD: Gut, ich denke, es ist alles gesagt und geklärt. Komm jetzt Danilo, wir gehen, es ist nicht deine Schuld, wenn sogar alternative Therapeuten jeden Quatsch mitmachen und in der Krise ihre Lieblingsfeinde die besseren Ratschläge zur Gesundheit geben.

Ambrosius Drossel und Danilo Käch verlassen eilig das Kommissariat, um rechtzeitig vor dem Eindunkeln ihren ersten Aareschwumm 2020 geniessen zu können. Den haben sie sich nach den Aufregungen des Tages auch redlich verdient!

* Einem Tonlabor ist es nach aufwändiger Arbeit gelungen, das Gespräch zugänglich zu machen. Hier exklusiv die Transkription der oben zitierten Passage: «Ich habe leichte Verstimmungen, weil ich soviel arbeiten muss seit vier Monaten. / Ich verstehe Sie ganz schlecht, könnten Sie das nochmals wiederholen? (….) / Wie soll ich denn deutlicher reden unter diesem verflixten Stofflappen? / Gopfriedschtuz damminomol, ich ersticke gerade nächstens.»

Wenn wir hier schreiben würden, Ähnlichkeiten mit lebenden Personen seien rein zufällig, dann würden die gewieften Leser natürlich genau das Gegenteil vermuten, weshalb wir das nicht erwähnen. Die Freundschaft zwischen Danilo Käch und Steda Badler ist bisher jedenfalls nicht belegt.