Komplementär- und Alternativmedizin bei Krebs (Molassiotis et al. – 2005)
Einleitung
Das Abstract des Artikels ” Classical homeopathy in the treatment of cancer patients – a prospective observational study of two independent cohorts” (eine Zusammenfassung finden Sie hier) beginnt mit der Aussage: „Viele Krebspatienten wählen Homöopathie als alternativmedizinische Therapie.“ Dieser doch “beeindruckenden” Aussagen wollten die Autorinnen und Autoren für dieses Studie näher auf den Grund gehen. Stimmt es tatsächlich, dass “viele” Krebspatienten Homöopathie wählen?
Zur Studie
In dieser Studie wurden 956 Krebspatientinnen in 14 europäischen Ländern mittels Fragebogen über die Anwendung von alternativmedizinischen Therapien befragt. Die Befragungen wurden jeweils über die “National Oncology Nursing Societies” durchgeführt. 18 “National Oncology Nursing Societies” und alle Mitglieder der “European Oncology Nursing Society” wurden angefragt, 14 waren bereit mitzumachen. Der genaue Ablauf der Befragung kann im Artikel nachgelesen werden. Die Patienten mussten bestimmten Kriterien genügen, um in der Studie berücksichtigt zu werden. In einigen Ländern, speziell den mediterranen Ländern und in Osteuropa, erwies sich gemäss Aussage der Autoren die Datensammlung als schwierig, da eine erhebliche Anzahl der Patienten nicht das “Einschlusskriterium”, sich der Diagnose bewusst zu sein, erfüllte.
Ergebnisse
Die Ergebnisse zeigen, dass im Mittel 35.9 % der Krebspatienten alternativmedizinische Therapien nutzten. Die Abweichung zwischen den Ländern betrug zwischen 14.8% und 73.1% (vgl. Tab. 1).
Land | n | % | Anwendung von alternativmedizinischen Therapien [n (%)] |
Spanien | 115 | 12 | 34 (29.8) |
Israel | 111 | 11.6 | 36 (32.4) |
Türkei | 100 | 10.5 | 37 (37) |
Schottland | 93 | 9.7 | 27 (29) |
Griechenland | 81 | 8.5 | 12 (14.8) |
Schweiz | 72 | 7.5 | 35 (48.6) |
Schweden | 59 | 6.2 | 18 (30.5) |
Italien | 52 | 5.4 | 38 (73.1) |
Tschechische Republik | 51 | 5.3 | 30 (58.8) |
Serbien | 50 | 5.2 | 16 (32) |
Dänemark | 50 | 5.2 | 18 (36) |
Belgien | 45 | 4.7 | 18 (40) |
Island | 43 | 4.5 | 13 (30.2) |
England | 34 | 3.6 | 10 (29.4) |
Tab 1. Teilnehmende Länder, Anzahl der Patienten, Häufigkeit der Verwendung von alternativmedizinischen Therapien.
Insgesamt wurde eine heterogene Gruppe von 58 alternativmedizinischen Therapien genannt. Pflanzliche Arzneimittel und Heilmittel waren die meistverwendeten Therapien in Verbindung mit Homöopathie, Vitaminen / Mineralien, medizinischen Tees, spirituellen Therapien und Entspannungstechniken. Diese fünf am häufigsten verwendeten Therapien waren in den meisten Ländern ähnlich. Kräuter waren in neun Ländern (Türkei, Israel, Serbien, Tschechische Republik, Dänemark, Italien, Schweiz, Spanien und Griechenland) an erster Stelle und in allen Ländern außer Schweden in den Top Fünf. Die meisten Kräuter waren spezifisch für jedes Land (d.h. Misteln in der Schweiz, Olivenblätter in Griechenland, Brennnesselblätter / Tee in der Türkei, Aloe Vera in Serbien und Spanien oder OVOSAN (ein Nahrungsergänzungsmittel mit natürlichen Ether-Phospholipiden PNAE) in der Tschechischen Republik).
Homöopathie war die am häufigsten verwendete Therapie in Belgien und sie war in sechs Ländern (Türkei, Tschechien, Schweden, Italien, Spanien und Griechenland) in den Top Fünf. An welcher Stelle sie in der Schweiz stand, wird aus dem Artikel nicht ersichtlich. Auffallend und interessant sind folgende Zahlen und Aussagen: Vor der Diagnose nutzten 59 (6.2%) der befragten Patienten Homöopathie, seit der Diagnose 58 Patienten (6.1%), zum Zeitpunkt der Befragung 36 (3.6%). Zum Vergleich: Kräuter nutzten vor der Diagnose 57 Patienten (5.9 %), seit der Diagnose 149 (15.2%), zum Zeitpunkt der Befragung 118 (12.1%).
Die Gründe, weshalb die Patienten alternativmedizinische Therapien anwendeten, waren folgende:
Gründe | Anzahl Patienten n (%) |
Wahrgenommener Nutzen n(%) |
Zur Bekämpfung der Krankheit mit alternativer Therapie/Rückgang des Tumors | 55 (16.4) | 13 (3.9*) |
Zur Steigerung der Fähigkeit des Körpers, den Krebs zu bekämpfen | 170 (50.7) | 75 (22.4*) |
Zur Verbesserung des körperlichen Wohlbefindens | 136 (40.6) | 152 (45.4) |
Zur Verbesserung des emotionalen Wohlbefindens, um Optimismus und Hoffnung zu erhöhen | 118 (35.2) | 143 (42.8) |
Um negativen Auswirkungen des Tumors oder medizinischen Behandlungen entgegenwirken | 83 (24.8) | 76 (22.6) |
“Könnte helfen, kann nicht schaden” | 77 (23.1) | – |
Wunsch, alles zu tun, um die Krankheit zu bekämpfen | 76 (22.6) | – |
Vom Arzt gewünscht | 3 (0.9) | – |
Tab. 2 Gründe, weshalb alternativmedizinische Therapien gewählt wurden und wahrgenommener Nutzen
Diskussion
Die Probandenzahl von 956 scheint eindrücklich, bei 14 Ländern ist die Patientenzahl pro Land aber eigentlich zu klein, um aussagekräftige Ergebnisse erzielen zu können. Auch dürften die Ergebnisse dadurch beeinflusst worden sein, welche Krankenhäuser einbezogen wurden. In der Schweiz sind dies beispielsweise das Kantonsspital St. Gallen, das Inselspital in Bern sowie das Universitätsspital in Zürich.
Trotzdem sind die auf die Gesamtzahl der Probanden bezogenen Ergebnisse dieser Studie interessant.
Lässt sich aber mit dieser Studie die Aussage belegen, dass viele Krebspatienten die Homöopathie als alternativmedizinische Therapie wählen? Nein, im Gegenteil: 3.6% (d.h. 36 Patienten) sind zu wenige Patienten, als dass man diese Aussage damit untermauern könnte. Allerdings muss man klarstellen, dass die Ausführungen im Text selber korrekt sind. Bei der Erstellung des Abstracts haben die Forscher diese Formulierung wohl zu wenig überdacht.
Originaltitel: Use of complementary and alternative medicine in cancer patients: a European survey (Anwendung von Komplementär- und Alternativmedizin bei Krebspatienten – eine europäische Studie
A. Molassiotis (1), P. Fernadez-Ortega (2), D. Pud (3), G. Ozden (4), J. A. Scott (5), V. Panteli (6), A. Margulies (7), M. Browall (8), M. Magri (9), S. Selvekerova (10), E. Madsen (11), L. Milovics (12), I. Bruyns (13), G. Gudmundsdottir (14), S. Hummerston (15), A. M.-A. Ahmad (1), N. Platin (16), N. Kearney (5) and E. Patiraki (17)
Erschienen in: Anals of Oncology 2005, 16: 655-663
Der Artikel ist frei zugänglich unter: https://reader.elsevier.com/reader/sd/pii/S0923753419477326?token=9827A517399A5859A371959E70990E12F1FDA31B2AD6291220F6CBC48570FA0E4E27ACFB1BB0B505A35461809AC3F041
Angaben zu den Autorinnen und Autoren
1 School of Nursing, University of Manchester, Manchester, UK
2 Institut Català Oncologia ICO, Barcelona, Spain
3 Faculty of Social Welfare and Health Studies, University of Haifa, Haifa, Israel
4 Gazi University Hospital, Ankara, Turkey
5 Department of Nursing and Midwifery, University of Stirling, Stirling, UK
6 Greek Oncology Nursing Society and Ag. Anargiri Hospital, Athens, Greece
7 Zurich University Hospital, Poliklinik Onkologie, Zurich, Switzerland
8 Sahlgrenska University Hospital, Gothenburg, Sweden
9 Università degli Studi di Milano-Istituto Nazionale Tumori, Milan, Italy
10 Masaryk Memorial Cancer Institute, Brno, Czech Republic
11 Oncology Department, Aarhus University Hospital, Aarhus, Denmark
12 Department of Education, Institute for Oncology and Radiology, Belgrade, Serbia and Montenegro
13 Belgian Society of Oncology Nursing, Brussels, Belgium
14 Department of Oncology, Lanspitali, Reykjavik, Iceland
15 Department of Oncology, City Hospital, Nottingham, UK
16 School of Health Sciences, Koc University, Istanbul, Turkey
17 Greek Oncology Nursing Society and Department of Nursing, University of Athens, Athens, Greece